W E R B U N G
 zum Podcast

Die Allgemeinmedizin in Deutschland


Die Sicht eines jungen Allgemeinmediziners


Politik, Ärzteschaft und Krankenkassen sehen seit Jahren einem Mangel an Hausärzten, gerade im ländlichen Raum, entgegen. Um die Problematik zu verstehen, muss zunächst einmal eine Analyse der aktuellen Zustände erfolgen. Zuerst einmal, was verbirgt sich hinter dem Begriff Hausarzt? Hausärzte in Deutschland sind eine heterogene Gruppe mit höchst unterschiedlichen Werdegängen. In Westdeutschland gab es im Gegensatz zu Ostdeutschland bis in die neunziger Jahre hinein die Möglichkeit, sich als praktischer Arzt hausärztlich niederzulassen. Diese Ärzte mussten überhaupt keine geregelte Weiterbildung abschließen und konnten sich nach Abschaffung der Bezeichnung "praktischer Arzt" im Rahmen von großzügigen Übergangsregelungen und auf Antrag bei der zuständigen Ärztekammer in Fachärzte für Allgemeinmedizin umbenennen lassen. Weiterhin sind Fachärzte für Allgemeinmedizin hausärztlich tätig, welche eine mindestens 3 –jährige (heutzutage 5-jährige) Facharztweiterbildung mit Pflichtteil in der hausärztlichen, ambulanten Medizin, einschließlich einer Facharztprüfung durchlaufen haben. Die dritte Gruppe welche hausärztlich tätig ist, sind die Fachärzte für Innere Medizin, diese haben eine mind. 5-jährige Facharztweiterbildung einschließlich einer Facharztprüfung in der Inneren Medizin durchlaufen. Ein Pflichtteil in der hausärztlichen, ambulanten Medizin ist hierbei nicht zu absolvieren. Um die Aufzählung komplett zu machen, auch die niedergelassenen Kinder- und Jugendmediziner zählen zu den Hausärzten, diese haben eine mind. 5-jährige Weiterbildung einschließlich Facharztprüfung in der Kinder- und Jugendmedizin als Weiterbildungsgrundlage.

In welchem Spannungsfeld arbeitet der Allgemeinmediziner und warum gibt es gerade in der Allgemeinmedizin einen Nachwuchsmangel?

Die Allgemeinmedizin in Deutschland ist ein Spielball der verschiedenen Interessen und Einflussnahmen. Zum einen gibt es die Organe der ärztlichen Selbstverwaltung (die kassenärztlichen Vereinigungen und die Landesärztekammern). Zum anderen sind zu nennen, die verschiedenen Berufsverbände der an der hausärztlichen Versorgung beteiligten Ärzte und nicht zuletzt die Politik und die Krankenkassen. Die ärztliche Selbstverwaltung bestimmt zum einen über die Weiterbildungsordnungen, also über die Inhalte der Facharztweiterbildung (dies ist eine der Aufgaben der Landesärztekammern), zum anderen über die Praxiszulassung, die Honorarverteilung und –verhandlung der niedergelassenen Facharztgruppen untereinander (dieses sind Aufgaben der kassenärztlichen Vereinigungen). Beide Organe der ärztlichen Selbstverwaltung sind jeweils in jedem Bundesland vertreten und nehmen bundeslandspezifisch die oben genannten Aufgaben war. Als Folge existiert ein Flickenteppich an Weiterbildungsordnungen in der Allgemeinmedizin, da gerade in der Allgemeinmedizin einige Landesärztekammern partout nicht von ihren regionalen Besonderheiten lassen wollen.

Beide Organe der ärztlichen Selbstverwaltung wiederum werden durch gewählte Vertreter der ärztlichen Berufsverbände beeinflusst, welche Funktionen innerhalb der Organe innehaben. Ärztliche Berufsverbände mit wichtigen Rollen für die Allgemeinmedizin sind: der Bund der deutschen Internisten (BDI), der Hausärzteverband und der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ). Da die Verbandsvertreter oft eigene berufspolitische Interessen verfolgen, wird um kaum ein Gebiet schon seit Jahrzehnten so vehement gestritten wie um die Allgemeinmedizin. Als Resultat dieser permanenten Streitigkeiten und Einflussnahmen wurde und wird die Weiterbildungsordnung Allgemeinmedizin permanent umgeändert. Im Prinzip geht es hierbei oft um das liebe Geld, bzw. um Konkurrenzstreitigkeiten. So wollen z.B. die Pädiater nicht, dass Allgemeinmediziner auch Kinder behandeln dürfen und die Internisten möchten nicht darauf verzichten auch in Zukunft an der hausärztlichen Versorgung teilnehmen zu können. Eine Anekdote zur Veranschaulichung der Problematik: Es ist zum Beispiel schwierig in einigen Bundesländern als angehender Allgemeinmediziner eine Weiterbildungsstelle in der Kinderheilkunde zu bekommen, da die Kinder- und Jugendärzte dort beschlossen haben, Allgemeinmediziner als mögliche Konkurrenz zu sehen.

Auch der nach ewigem Hin und Her vom Ärztetag als Kompromisslösung zwischen Internisten und Allgemeinmedizinern beschlossene neue Facharzt für Innere und Allgemeinmedizin ist schlussendlich durch das beständige Wirken der verschiedenen Interessengruppen nie bundesweit etabliert worden, als Folge wird die entsprechende Weiterbildungsordnung zur Zeit erneut geändert! Die permanenten Neuanpassungen der Weiterbildung Allgemeinmedizin sind für junge Ärzte schwer durchschaubar, eine Kontinuität und Planbarkeit der Weiterbildung ist nicht gegeben. Durch die fehlende bundeseinheitliche Weiterbildungsordnung kann es außerdem passieren, dass beim Wechsel des Bundeslandes manche Weiterbildungsabschnitte von der dann zuständigen neuen Landesärztekammer auf einmal nicht mehr anerkannt werden.

Ebenso hinderlich ist, dass der junge Arzt in Weiterbildung zum Allgemeinmediziner, im Gegensatz zu den jungen Kollegen der anderen Fachrichtungen, während der 2-jährigen Pflichtweiterbildungszeit in der Hausarztpraxis abhängig von einem Fördergeld ist. Die Weiterbilder in den hausärztlichen Praxen sind meist finanziell nicht in der Lage, ein angemessenes Gehalt zu zahlen. Die Höhe dieses Fördergeldes beträgt momentan 2040,- Euro brutto, im Gegensatz zum Verdienst eines Kollegen, zum Beispiel in der Facharztweiterbildung zum Internisten, bedeutet dies für junge Allgemeinmediziner eine massive Einbuße. Die Problematik des Gehaltes wurde immerhin erkannt und momentan wird eine Verdoppelung des Fördergeldes diskutiert. Diese soll allerdings verbunden werden mit einer Verpflichtung zur Zwangsniederlassung im Anschluss an die Facharztprüfung, wenn nicht soll der junge Arzt die komplette 2-jährige Förderung zurückzahlen. Anscheinend glaubt man ernsthaft, durch weitere Zwänge mehr Zulauf zur sowieso nicht beliebten allgemeinmedizinischen Facharztweiterbildung schaffen zu können.

Als weiteren Nachteil im Gegensatz zu anderen jungen Kollegen muss der allgemeinmedizinische Nachwuchs häufiger seine Stelle wechseln, da er ja eine breite Ausbildung in verschiedenen medizinischen Gebieten nachweisen muss. Leider existiert immer noch keine ausreichende zentrale Koordination der Weiterbildung Allgemeinmedizin, so dass die 5 Jahre Weiterbildung einschließlich der notwendigen Rotationen nicht in einem Guss durchlaufen werden können. Die Konsequenzen sind: eine schlechte Möglichkeit zur Lebensplanung, die unnötige Verlängerung der Weiterbildungsdauer und häufige zwischenzeitliche Arbeitslosigkeit (bedingt durch das Suchen einer passenden Anschlussstelle).

Nicht zu Vergessen ist nach wie vor die (historisch bedingte) schlechtere Reputation der Allgemeinmediziner im Vergleich zu anderen Fachgruppen und die Benachteiligung der hausärztlichen Medizin durch die bestehende schlechtere Honorierung der Allgemeinmediziner im Vergleich zu anderen Facharztgruppen. Nach wie vor verdient ein Allgemeinmediziner im Schnitt ein Drittel weniger als andere Fachärzte. Dies muss auch vor dem immensen Arbeitsaufwand des Allgemeinmediziners gerade in ländlichen oder unterversorgten Gebieten gesehen werden.

Als letzter Punkt in der Ursachenforschung ist die allgemeine Unattraktivität einer Niederlassung als Kassenarzt zu nennen, bedingt durch das unüberschaubare kassenärztliche Abrechnungssystem und die immer weiter um sich greifende Einschränkung der ärztlichen Therapiefreiheit und –hoheit.

Was überlegt sich also der junge Kollege/ die junge Kollegin in Weiterbildung mit prinzipiellem Interesse an einem Einstieg in die hausärztliche Versorgung?

Angesichts des ganzen Tohubawohus um die Allgemeinmedizin wird er oder sie schnell zur Einsicht kommen, dass er/sie mit einer Weiterbildung in einem anderen Gebiet mehr Freiheiten, mehr Ansehen, mehr Verdienst und weniger organisatorischen Stress hat.


Alles schön und gut, aber wie sind die Lösungsansätze?

Was könnte die Politik tun?

· Stärkung der Funktion des Hausarztes als Primärarzt, Einschränkung des „Ärztehoppings“, Spezialisten sollen nur noch nach obligater Beratung des Hausarztes aufgesucht werden können.

· Bereitstellung von Fördergeldern für die Schaffung von allgemeinmedizinischen Weiterbildungsverbünden

· Schaffung von besserer Planungssicherheit in der Tätigkeit als Kassenarzt (Stichwort Regresse, undurchschaubares Abrechnungssystem)

Was könnte die ärztliche Selbstverwaltung tun?

· Schaffung einer bundeseinheitlichen, qualitativ hochwertigen und breiten Weiterbildung zum Allgemeinmediziner

· Abschaffung des Nebeneinanders verschieden weitergebildeter Hausärzte, klares Veto für den Allgemeinmediziner

· Setzen bleibender positiver Anreize für Hausärzte, z.B. über eine bessere Honorierung von Hausärzten generell und im Speziellen in ländlichen/unterversorgten Gebieten.

· Beendigung der verbandspolitischen Streitereien , die Bevölkerung braucht einen qualitativ hochwertig und vor Allem breit ausgebildeten Allgemeinmediziner als Primärarzt, Schmalspur- und Billiglösungen würden nur einer weiteren Erosion des Berufsbildes Vorschub leisten

· Unterstützung von Verbundweiterbildungen, Schaffung geeigneter Strukturen

· Schaffung von positiven Anreizen für engagierte Weiterbilder (z.B. über eine Budgeterhöhung oder ähnliches)

· transparente und verpflichtende Evaluation von Weiterbildungsstätten

· Angleichung des Gehaltes der Ärzte in Weiterbildung Allgemeinmedizin über die komplette Weiterbildung an den üblichen Tariflohn ohne weitere Bedingungen

Was können angehende und praktizierende Allgemeinmediziner tun?

· Verbesserung durch Einfordern von Veränderungen, klares Beziehen von Positionen auch wenn es Widerstand gibt

· Nicht nur jammern, sondern auch engagieren und Lösungsansätze suchen


Autor: Dr. Mabuse





Kommentare zu dieser News:

Datum: Fr 21 Aug 2009 11:59
Von: der Landarsch


wunderbar treffend und unpolemisch dargestellt, danke!

3 kleine Anmerkungen:

1. Die Weiterbildung wird von den Ärztekammern geregelt. Hier haben aber die Uniprofessoren und Vertreter der Fachverbände das Übergewicht. Es besteht hier also nicht nur kein Interesse, die Allgemein-/Hausarztmedizin zu fördern, sondern eher ein Interresse, die Allgemein-/Hausarztmedizin zu behindern.

2. Die ärztliche Honorierung ist - trotz immer weiter zunehmender Pauschalisierungen - noch immer "Einzelleistungs-orientiert", d.h. die einzelne Untersuchung/Therapie steht im Vordergrund der Bezahlung, und da können Fachärzte (trotz Budgetierung) wesentlich mehr und leichter punkten als Hausärzte, deren haupstächliche Arbeit eher das Gespräch und die Planung/Organisation ist.

3. Es gilt noch immer, dass sich die Wirtschaftlichkeit der ärztlichen Handlungen/Abrechnungen aus dem Durchschnitt des Fachgruppenhandelns ergibt. Insbesondere kleinere Fachgruppen haben dabei eine viel größere Chance, als die große und inhomogene Gruppe der Hausärzte, den Wirtschaftlichkeitsumfang nach oben zu korrigieren. Infolge dessen werden viel mehr Hausärzte in ihrem Honorar gekürzt oder sie werden mit Regressen überzogen, als Fachärzte (50.000.-€ Regress für ein Quartal ist in der Allgemeinmedizin keine Seltenheit, von Fachärzten habe ich derartige Summen noch nie gehört! Und das bei geringerem Gesamthonorar!).
Facdhärzte tun sich auch viel leichter zu sagen "da kann ich jetzt nichts (mehr) machen, da müssen Sie zum Hausarzt", als die Hausärzte "da müssen sie zum Facharzt", weil der Patient dann sagt "da war ich schon und der kann mir nicht helfen"!