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 Weiterbildung Allgemeinmedizin: Erfahrungsbericht 
 Als  ein  zu  belächelndes  Selbstmordkommando  –  so  wurde  meine  Unterschrift  unter  dem  „alten“  IPAM  (Initiativprogramm  zur  Sicherung  der  allgemeinmedizinischen  Versorgung)-Vertrag  vor  vier  Monaten  von  vielen  meiner  ehemaligen  Mitkommilitonen  betrachtet.  Sie  selbst  hatten  sich  nach  unserem  Examen  im  Frühjahr  2007  allesamt  für  Anderes  entschieden:  Unfallchirurgie,  Anästhesie, (...) Pädiatrie,  Gynäkologie,  Radiologie,  ja  sogar  Augenheilkunde.
 
 Aber  doch  keine  Allgemeinmedizin.
 
 Ich  hatte  Medizin  studiert,  um  Hausarzt  zu  werden.  Die  Frage,  ob  diese  medizinische  Profession  in  Zukunft  noch  gefragt  sein  würde,  stellte  sich  mir  nie.  Die  Politik  schien  die  Primärversorgung,  allein  schon  wegen  der  immer  wieder  in  Form  von  Horrorszenarien  dargestellten  drohenden  Unterversorgung  ländlicher  Gebiete,  nach  Kräften  unterstützen  zu  wollen.  Das  Fach  Allgemeinmedizin  fand  eine  immer  stärkere  Einbindung  in  die  Kurrikula  der  Medizin  sowie  in  Instituten  an  den  Universitäten  selbst.
 
 Natürlich  hatte  man  von  Problemen  der  Niedergelassenen  mit  der  KV  gehört.  Allerdings  neigte  ich  dazu,  ob  der  sonstigen  rosigen  Aussichten  in  diesem  Fach,  diese  als  vorübergehende  Schwierigkeiten  in  der  Umsetzung  neuer  Finanzierungsmöglichkeiten  im  medizinischen  Sektor  zu  sehen.  Es  würde  sich  schon  beruhigt  haben,  bis  ich  mit  meiner  Weiterbildung  fertig  wäre.
 
 Als  ich  mich  nach  dem  Uniabgang  jedoch  tiefgreifender  mit  dieser  Weiterbildung  beschäftigte,  stiess  ich  auf  ein  kaum  überschaubares  Wirrwarr  an  Ordnungen,  Vorgaben,  Zuständigkeiten,  ungeklärten  Sachverhalten  und  eben  auch  auf  diesen  seltsamen  Vertrag  mit  der  Kassenärztlichen  Vereinigung  (KV),  den  IPAM-Vetrag.
 
 Nicht  genug,  dass  man  als  Anfänger  kaum  bei  den  verschiedenen  Weiterbildungsordungen  durchblickt.  Oder,  dass  man  erkennen  muss,  dass  diese  zum  Teil  europaweit  gar  nicht  anerkannt  sind,  geschweige  denn  länderübergreifend  gelten  würden.  Nein,  man  soll  zusätzlich  noch  einen  Vertrag  unterschreiben,  der  auf  der  einen  Seite  einem  das  Gehalt  sichern  soll.  Allerdings  mit  der  Auflage  dieses  Gehalt,  z.B.  bei  Nichtabschliessen  der  Facharztprüfung  zum  Allgemeinmediziner,  zurückzahlen  zu  müssen.  Es  mag  sein,  dass  diese  Klauseln  wohl  ursprünglich  gedacht  waren,  um  einen  Missbrauch  dieser  Fördergelder  zu  verhindern.  Leider  wird  man  durch  die  Verpflichtungen  dieses  Dokumentes  immer  weiter  in  seiner  beruflichen  Freiheit  eingeschränkt.  Soweit,  dass  ich  mich  beim  Setzen  der  Unterschrift  fühlte,  als  wäre  ich  in  Zukunft  Eigentum  der  KV.
 
 Trotz  aller  Bedenken  und  Ängste  unterschrieb  ich,  denn  man  hatte  mir  von  unterschiedlichen  politischen  Ebenen  immer  wieder  versichert,  und  diese  Aussagen  sind  derzeit  die  gängigsten  in  Kreisen  der  allgemeinmedizinischen  Avantgarde:  „Es  wird  alles  besser!“  Oder  „Wir  stehen  in  Verhandlungen  mit...!“  Oder  „Sie  suchen  überall  Allgemeinmediziner!“  am  besten:  „Auf  die  KV  kann  man  auch  verzichten!“  Na.  Ich  nahm  an:  sie  würden  es  schon  wissen.  Denn  sie  waren  länger  im  Geschäft  als  ich.  Es  würde  alles  gut  werden.  Und  außerdem  muss  man  für  sein  Ziel  auch  hin  und  wieder  Täler  durchqueren.
 
 Ich  bekam  auch  gleich  einen  Job  in  einer  chirurgischen  Praxis.  Der  Vertrag  über  sechs  Monate  läuft  noch.  Mit  dem  Gehalt  habe  ich  mich  abgefunden.  In  Berlin  sind  doch  alle  arm  aber  dafür  zumindest  sexy.
 
 Nun  kommt  diese  Änderung  des  IPAM-Vertrages:  ambulantes  Arbeiten  soll  nun  mehr  nur  noch  für  eine  maximale  Dauer  von  24  Monaten  gefördert  werden.  Mit  meinen  bereits  fast  abgearbeiteten  sechs  Monaten  in  der  Chirurgie,  stehen  mir  so,  laut  Aussage  der  für  diese  Fragen  zuständigen  Person  bei  der  KV,  bei  Neuantragstellung  noch  18  weitere  Monate  Förderung  zur  Verfügung.  (Obwohl  diese  Rechnung  rein  rechtlich  äusserst  fragwürdig  ist,  da  die  sechs  Monate  aktuell  nach  einem  alten,  ganz  anderen  Vertrag  laufen)  Diese  „Restzeit“  werde  ich  dann  für  die  in  der  Weiterbildungsordnung  2004  vorgeschriebenen  1,5  Jahre  in  einer  allgemeinmedizinischen  Praxis  verwenden  müssen.  Ausserdem  wird  es  dann  jedoch  schwierig  die  vorgeschriebenen  sechs  Monate  in  der  Pädiatrie  bezahlt  zu  bekommen.  Dies  ist  nämlich  das  einzige  Fach,  wo  einem  in  der  Weiterbildungsordnung  nicht  die  Möglichkeit  gegeben  ist  in  die  Klinik  auszuweichen.  Als  Ausweichmöglichkeit  blieben  einem  höchstens  noch  Kurse  in  Kinder-  und  Jugendmedizin.  Sehr  befriedigend.
 
 Nach  Meinung  der  KV  solle  ich  doch  den  Rest  meiner  Weiterbildung  nun  in  der  Klinik  durchziehen.  Dass  hier  die  Vorgaben  und  Vorstellungen  der  KV  und  die  Anforderungen  der  Verordungen  durch  die  Ärztekammer  in  keinster  Weise  deckungsgleich  sind,  wird  komplett  ignoriert.  Denn  die  abzuleistenden  Zeiten  in  den  verschiedenen  Fächern  werden,  um  so  eine  größere  Bandbreite  an  Fächern  zu  erhalten,  immer  kürzer.  Welche  Klinik  stellt  einen  denn  aber  für  sechs  Monate  ein?  Da  soll  der  Assistent  doch  beim  Einstellungsgespräch  falsche  Angaben  machen  und  „so  tun  als  ob“  er  Chirurg  werden  wollen  würde.  Sechs  Monate  später  kündigt  er  dann  einfach  und  sucht  sich  den  nächsten  Job  an  der  Klinik,  wo  er  nun  vorgibt  plötzlich  Anästhesist  werden  zu  wollen.  Dieser  Klinik  kehrt  er  nach  drei  Monaten  den  Rücken  und  möchte  nun  auf  einmal  doch  Internist  werden...???  Auf  positiv  gestimmte  Zeugnisse  oder  sonstige  Referenzen  kann  man  dann  wohl  verzichten.  Ein-  oder  zweimal  liesse  sich  das  ja  durchziehen.  Irgendwann  würde  so  etwas  allerdings  auch  auf  einem  Lebenslauf  etwas  seltsam  aussehen.  Der  Leidtragende:  Arzt  in  Weiterbildung.
 
 Ausserdem  wird  einem  immer  wieder  die  Geschichte  von  den  sich  in  der  Mache  befindlichen  Rotationsstellen  an  den  Kliniken  vorgetragen.  De  facto  sind  diese  aber  nicht  vorhanden.
 
 Wie  soll  ich  denn  nun  die  im  Nachtrag  zur  Weiterbildungsordnung  2004  vom  29.03.2008  unter  anderem  geforderten  sechs  Monate  Pädiatrie  und  sechs  Monate  Orthopädie  /Unfallchirurgie,  die  unbedingt  noch  ambulant  abzuleisten  wären,  finanziert  bekommen?  Auch  ergeben  sich  andere  Fragen,  die  sich  bezüglich  der  Qualität  der  Weiterbildung  auftun,  wenn  ich  dazu  gezwungen  bin,  mir  Stellen,  Weiterbildungsfächer  und  –zeiten  nach  Finanzierbarkeit  auszusuchen  und  eben  nicht  nach  Sinnhaftigkeit  im  Rahmen  der  allgemeinmedizinischen  Weiterbildung.
 
 Die  größte  Verunsicherung  und  Verärgerung  empfinde  ich  allerdings  auf  Grund  der  komplett  widersprüchlichen  Aussagen,  die  ich  von  allen  Seiten  der  in  diesem  Zusammenhang  nur  annähernd  wichtigen  Institutionen  erhalte:  auf  der  einen  Seite  wird  die  Wichtigkeit  der  allgemeinmedizinischen  Hausärzte  betont  (siehe  oben).Da  wird  gesagt,  die  Bezahlung  der  Ärzte  in  Weitebildung  werde  in  naher  Zukunft  aus  ungenutzten  Fördergeldern  zumindest  auf  Tarifvertragniveau  der  Ärzte  in  Weiterbildung  in  der  Klinik  aufgestockt  –  zwei  Monate  später  werden  die  Gelder  weiter  gekürzt.  Die  Ärztekammer  setzt  eine  noch  detailliertere  und  kleingliedrigere  Weiterbildungsordnung  an,  welche  fast  nur  ambulant  abzuleisten  wäre.  Daraufhin  bewegt  sich  die  KV  nun  in  eine  ganz  andere  Richtung.
 
 In  Anbetracht  all  dieser  sich  anscheinend  immer  weiter  verwirrenden  Umstände,  kommt  bisweilen  schon  hin  und  wieder  die  Frage  auf:  Was  soll  denn  hier  bezweckt  werden?  Was  hat  die  Politik,  was  haben  die  verschiedenen  Lobbies  mit  der  Allgemeinmedizin  vor?  Welche  Rolle  spiele  ich  dabei?  Wie  weit  lasse  ich  mich  ausnützen,  um  ein  Fach  zu  erlernen,  welches  es  eventuell  in  zehn  Jahren  nicht  mehr  geben  könnte?  Und  wenn  dem  so  sein  sollte:  Weshalb  wird  das  von  den  Verantwortlichen  nicht  dementsprechend  transportiert?
 
 Sehr  sehr  ärgerlich  und  für  mich  in  höchstem  Maße  unverständlich.
 
 Welcher  junge  Mediziner  entscheidet  sich  noch  freiwillig  für  diesen  Weg?  Sehenden  Auges  doch  niemand!
 
 Ich  für  meinen  Teil  werde  nun  erstmal  für  die  Innere  in  die  Klinik  gehen  –  vorrausgesetzt  ich  finde  einen  Arbeitsplatz.  Innere  Medizin  als  Fach  war  noch  nie  mein  Lebensziel.  Da  es  sich  aber  als  Grundlage  der  Humanmedizin  auch  gut  für  jegliche  weitere  Weiterbildung  verwenden  lässt,  werde  ich  nach  einem  Jahr  sehen,  ob  sich  politisch  etwas  für  den  Arzt  in  Weiterbildungs  in  der  Allgemeinmedizin  geändert  hat.  Ob  diese  Einstellung  mir  Probleme  mit  meinen  Verpflichtungen  im  Sinne  des  IPAM-Vertrages  bringt,  wird  man  sehen,  wenn  es  so  weit  ist.  Aber,  was  mache  ich  mir  Sorgen,  denn:  „Auf  die  KV  kann  man  ja  (laut  Aussagen  aus  höheren  Kreisen)  verzichten!“
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 Kommentare zu dieser News: 
 
						
					
							
								| Datum: Fr 09 Mär 2012 11:58 |  
								| Von: Karen 
 
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								| Liebe Gerda, herzlichen Dank für diesen Erfahrungsbericht, der mich davon abhält, eine möglicherweise große Dummheit zu begehen...merci bien.
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								| Datum: Do 21 Aug 2014 09:17 |  
								| Von: Josie 
 
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								| Mittlerweile mindestens ein halbes Jahr Wartezeit auf eine mögliche IPAM Förderung in Berlin hält mich mittlerweile auch davon ab diesen Weg weiter zu gehen. Schade um den Beruf des Hausarztes!
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