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Kooperation statt Sozialdarwinismus


Divide et impera, teile und herrsche, war bereits ein probates Machtmittel der alten Römer. Schauen wir uns das heutige deutsche Gesundheitswesen an, so können wir feststellen, dass das auch immer noch gut funktioniert. Krankenhausärzte gegen niedergelassene Ärzte, spezialisierte Fachärzte gegen Hausärzte, fertige Fachärzte gegen Ärzte in der Weiterbildung, Krankenkassen und Kassenärztliche Vereinigungen gegen alle anderen und jeweils umgedreht. Und das für die Politik Bequeme ist: Die Ärzteschaft macht das alles von ganz alleine. So entsteht eine beständige Selbstbeschäftigung der einzelnen Gruppierungen mit sich selbst und gegenseitig. Die Folge: Das Potential, gegen Schwächen in unserem System vorzugehen, wird verspielt. Egal in welchem Bereich des Gesundheitswesens man arbeitet, überall wird gejammert und geklagt, überall gibt es Missstände, die teilweise haarsträubend sind. Doch es wird wenig getan. Noch bis zum Abschluss eines Tarifvertrages für die Krankenhausärzte vor wenigen Jahren hat ver.di sowohl die meisten Ärzte als auch Schwestern und Pfleger vertreten und stets betont, was die Ärzte bekommen, würde der Pflege von ihrem ohnehin kärglichen Gehalt weggenommen. Und so waren wieder alle aufeinander böse und kamen kaum einen Schritt voran.

Es ist ein Phänomen unserer Gesellschaft, dass Durchsetzungskraft und Wettbewerb als eine erstrebenswerte Tugend gilt. Es wird von Studien berichtet, die herausgefunden haben wollen, dass in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts Eltern ihren Kindern vor allen Dingen "Durchsetzungskraft" beibringen wollten. Und hinterher wundern wir uns über die Ergebnisse. Den Studenten im Medizin- und Psychologie-Studium wird gleich am Anfang klipp und klar gesagt: "Sie befinden sich im Wettbewerb, einige von Ihnen werden scheitern, einige besonders gut und die meisten das normale Mittelmaß". Das Punktesystem für die niedergelassenen Ärzte treibt dies ins Extrem, wenn die Mehrleistung von Kollegen zum Verfall des Punktewertes für alle führt. Vielleicht sollte man sich mal fragen, ob besonders spitze Ellenbogen eine Auszeichnung für einen guten Heiler sind. Ob jemand, der vor allen Dingen an sich selbst denkt und denken muss Menschen gut beraten und therapieren kann.

Wir denken, dass hier ein Grundproblem unseres Systems steckt. Die Lösung muss in eine andere Richtung gehen. Zu Darwins Zeiten und weit darüber hinaus war man der Meinung, dass das "Survival of the Fittest", das Überleben des Stärksten, ein universelles Gesetz ist. Erst nach und nach macht sich die Erkenntnis in der Wissenschaft breit, dass es viel mehr Kooperation in der Natur, in Körperzellen und überall wo Leben existiert gibt, als bisher angenommen. Doch unser Zusammenleben ist noch zu sehr von Darwins Theorien geprägt und an vielen Stellen gelebter Sozialdarwinismus. Wer daran zweifelt muss nur einmal die zur Rush Hour über die Autobahn fahren...

Als Mahatma Gandhi Indien von der britischen Kolonialherrschaft befreit hat, hatte er die Menschen hinter sich gebracht, hatten viele über lange Zeit zusammengewirkt. Genauso Martin Luther King mit seiner Bürgerrechtsbewegung, um nur einige herausragende Beispiele zu nennen. In einem kranken Gesundheitssystem wie dem unsrigen in Deutschland, ist Kooperation dringend vonnöten. Ärzte, die Pflege, Physio- und Ergotherapeuten und viele andere, müssen sich zusammentun und alle an einem Strang ziehen. Jeder einzelne muss sich als Teil des Ganzen fühlen und wissen, das die Entwicklungen im System alle etwas angehen. Es muss eine Politisierung stattfinden, ein Bewusstsein, dass mein Handeln Auswirkungen auf alle andere haben kann. Sprüche wie "mein Mann ist Radiologe, mir reicht ein Gehalt von 1280 Euro netto als ganztägig beschäftigte Ärztin in Weiterbildung" müssen der Vergangenheit angehören und durch das Verständnis ersetzt werden, dass nur durch eine solche Einstellung die niedrigen Gehälter zum Beispiel in der Allgemeinmedizin-Weiterbildung überhaupt möglich sind. Andere müssen davon eine komplette Familie finanzieren. Der Ausspruch Gandhis "was können 100 000 Briten tun, wenn 350 Millionen Inder ablehnen zu kooperieren" lässt sich gut auf unsere Situation im Gesundheitswesen übertragen. "Wir haben es selbst in der Hand, was wir tun und was wir nicht tun", schrieb neulich ein Benutzer des Neuen Hippokrates. Wir müssen nur gemeinsam und koordiniert handeln, dann haben die wenigen Entscheidungsträger kaum eine Möglichkeit gegen uns Ärzte und weitere Mitarbeiter im Gesundheitswesen sowie gegen die Patienten realitätsferne und schädliche Entscheidungen durchzusetzen. Aber wir müssen uns erst einmal untereinander klar werden, was die Lösung aus dem Dilemma sein kann und was für alle das beste ist und nicht nur für uns selber.


Autor: Die Redaktion